„Humanität“, Heft 2, 2014
Der geübte Großzeremonienmeister hatte so etwas selbst noch nicht erlebt: Zur Lichteinbringung der Loge „Zum großen Licht im Norden“ am 4.1. in Berlin mussten die Stuhlreihen in den Kolonnen nach Eintritt der Brüder noch massiv aufgefüllt werden. Der Saal im Logenhaus in der Emser Straße fasste am Ende 125 Brüder, die nicht nur auf die Wiederbelebung einer Loge warteten, sondern auf ein ganz besonderes Ritual, gehalten in russischer Sprache. Aus insgesamt 32 Logen waren Brüder angereist, darunter Vertreter der verschiedenen deutschen Großlogen, der Großlogen von Russland, Polen, Estland, Lettland sowie der United Grand Lodge von England. Es war also ein Ereignis von internationalem Rang, was den besuchenden Brüdern aus allen Orienten schnell klar wurde.
Brüder aus Hamburg und Berlin hatten gemeinsam die Idee einer russischsprachigen Loge unter der Obödienz der Großloge A.F.u.A.M. an den Großmeister herangetragen. Zunächst sei er immer etwas skeptisch, wenn eine neue Loge gegründet werden soll, die nur aus Mitgliedern anderer Logen bestehe, betonte Br. Axel Pohlmann in seiner Rede vor Wiedereinbringung des Lichtes, doch letztlich handele es sich hierbei um eine ganz besondere Gründung, zumal eine Wiedergründung, die ein wichtiges Stück deutscher Logengeschichte beinhalte. Zwei Sätze zur Begrüßung hatte der Großmeister auch in russischer Sprache parat, war sich aber am Ende gar nicht mehr sicher, ob es sich wirklich um Russisch handele, wie er scherzhaft bemerkte.
Alt- und Ehren-National-Großmeister der GNML 3 WK, Br. Hans Hasselmann, führte in seiner Festrede die Zusammenhänge der Logengründung genauer aus. In der Chronik seiner eigenen Bauhütte, der Johannisloge „Zu den drei Lilien“, sei vermerkt, dass Anfang der 1920er Jahre zahlreiche russische Brüder gastliche Annahme in dieser Bauhütte fanden. Bereits zu jener Zeit war das intellektuelle Leben in Berlin stark von osteuropäischen Einwanderern geprägt. Im Aufnahmebuch von 1919 sei die Verpflichtungserklärung sogar in deutscher und russischer Sprache enthalten gewesen. Im April 1922 schließlich gründeten die russischen Brüder ihre eigene Loge „Zum großen Licht im Norden“ mit der Matrikelnummer 667. Bereits damals arbeitete die Loge in der Emser Straße in Berlin, dem damaligen Logenhaus der Hamburger Provinzialloge. An derselben Stelle, vermutlich sogar im selben Saal, wurde nun 92 Jahre nach der Erstgründung das Licht der Loge wieder entzündet, nachdem es – wie in vielen anderen Logen auch – 1933 erloschen war.
Diesmal war es die Loge „Armin zur Treue und Einigkeit“ in Hamburg, die als Mutterloge fungierte. Br. Heinrich Stürtz wurde vom Großmeister als Meister vom Stuhl eingesetzt. Gemeinsam mit seinen Beamten führte er souverän durch das Ritual in russischer Sprache. Da es sich dabei um eine Übersetzung des A.F.u.A.M.-Rituals handelte, wussten zumindest auch die nur-deutschsprachigen Brüder, an welcher Stelle man sich befand. Die Aufforderung, „in Ordnung“ zu treten und andere wichtige Hinweise gab es für alle in deutscher Sprache.
Zahlreiche Grußworte wurden in geöffneter Loge entrichtet, wobei viele Brüder sehr bemüht waren, ihre einst schulisch erworbenen Russischkenntnisse anzubringen, und selbst der Meister vom Stuhl war hin und wieder erstaunt über die hervorragenden Sprachkenntnisse einzelner Gäste. Auch die ausländischen Vertreter überbrachten ihre Glückwünsche und Gastgeschenke, die an diesen besonderen Tag erinnern sollten. Von allen wurde die Gründung der Loge als ein Brückenschlag gesehen, zumal es bekanntermaßen sehr starke Bindungen deutscher Logen nach Osteuropa gibt und der Aufbau der Freimaurerei jenseits der Oder-Neiße-Grenze von deutscher Seite seit Jahren stark unterstützt wird.
In Zukunft wird die „Lichtloge“, wie sie sich abkürzend nennt und auch im Internet firmiert (www.lichtloge.de), wohl abwechselnd in Berlin und in Hamburg arbeiten. Hier finden sich die beiden größten russischsprachigen Gemeinden Deutschlands. Mehr als eine halbe Million Russlanddeutsche kamen nach 1990 ins wiedervereinigte Deutschland. In Berlin leben heute schätzungsweise 200.000 Menschen mit russischen Wurzeln, in Hamburg etwa 100.000. Insofern ist das Angebot einer deutschen Loge unter der Obödienz der Großloge A.F.u.A.M., das Ritual in Russisch zu zelebrieren, mehr als die Erfüllung eines schönen Wunsches einiger Brüder. Es kommt der gesellschaftlichen Realität in unserem Lande entgegen und kann und will einen vernünftigen Beitrag zum Verständnis zwischen den Kulturen leisten. Br. Hans Hasselmann brachte es in seiner Festzeichnung auf den Punkt: „Politiker würden vielleicht jetzt wieder sagen: ‚Hier wächst zusammen, was zusammengehört’. Freimaurer aber wissen, dass sie nicht zusammenwachsen müssen. Wir gehören schon immer einer weltumspannenden grenzenlosen Kette unserer Bruderschaft an. Nur äußere politische Gründe und religiöse Missverständnisse sind und waren für uns die einzigen Beweggründe für eine symbolische Inaktive Dunkelheit. Die heutige Lichteinbringung hat somit eine sehr starke Symbolkraft.“
Nach der langen, aber überaus spannenden und interessanten Lichteinbringung und Festarbeit, trafen sich etwa 80 Brüder zur Tafelloge im Festsaal nebenan. Auch das Tafelritual wurde selbstverständlich in russischer Sprache zelebriert. Eigentlich hätte man erwarten können, dass die Gläser für die Toasts mit Wodka befüllt werden, aber damit wäre man dann doch nur einem Klischee aufgesessen. Die meisten Brüder tranken zur Mittagszeit lieber Wasser – statt Wässerchen.